Steuerlast darf nicht weiter
steigen |
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Ansiedlungs- und Standortstrategie: Die Diskussion um Möbel Martin und
die Mogat Werke hat diese Facette Mainzer Wirtschaftspolitik ins Licht
der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die AZ macht in loser Folge
das Thema aus unterschiedlicher Perspektive transparent. Heute äußern
sich Karl-Josef Wirges, Präsident der Handwerkskammer für Rheinhessen,
und deren Hauptgeschäftsführer, Günther Tartter, im AZ-Gespräch, wie
sie die Rolle des Handwerks am Standort Mainz bewerten und was die
Politik tun muss, dass es auch künftig Ansiedlungen von
Handwerksbetrieben in Mainz geben wird. |
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Der
Gewerbepark in Hechtsheim ist ein wenig in den Schatten der
Großansiedlung von Möbel Martin geraten. Steht die Idee, dass
mittelständische und vor allem Handwerksbetriebe dort an-
beziehungsweise umsiedeln ,nur auf dem Papier oder ist damit zu
rechnen, dass Handwerksbetriebe sich auf dieses Angebot auch
einlassen? |
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Wirges: Das alte Hechtsheimer Gewerbegebiet ist bis auf wenige private
Restflächen dicht. Auch in der Innenstadt sehe ich kaum
Entwicklungsmöglichkeiten für Handwerksbetriebe, zumal dort immer auch
die Lärmproblematik eine Rolle spielt. Der Gewerbepark bietet deshalb
praktisch die einzige Fläche, die noch für Umsiedlungen und
Neuansiedlungen in Frage kommt. Unser Betrieb siedelt ja auch um und
deshalb kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass ein
umsiedlungswilliger Betrieb allein wegen der Grundstücksfrage keine
Probleme haben wird. Uns wurden mehrere Grundstücke angeboten, die
Stadt ist behilflich. Andererseits werden die handwerklichen
Dienstleistungssektoren, wie beispielsweise Friseure oder Bäckereien,
natürlich in der Innenstadt verbleiben. Für Gewerbebetriebe, gerade
auch mit Fuhrpark, ist der Gewerbepark eine gute Sache. |
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Tartter: Allerdings muss man auch sehen, dass wir nicht in Zeiten der
handwerklichen Vergrößerungen und Verlegungen leben. Die
Konjunkturschwäche hat auch das Handwerk getroffen, die Betriebe
mussten Mitarbeiter abbauen. Mit einer Belebung ist eher erst
mittelfristig zu rechnen. |
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Für
Investitionen in die Zukunft fehlt also das Geld? |
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Tartter:
Neugründungen sind in der Branche eher so etwas wie Ringeltäubchen.
Wir haben es mit dem erheblichen Problem der Unternehmensnachfolgen zu
tun und gehen davon aus, dass der prozentuale Anteil dieser so
genannten stillen Liquidationen von Handwerksbetrieben durch einen
fehlenden Nachfolger höher liegen wird als die Insolvenzquote. Vor
allem innerhalb der Familie wird es immer schwieriger, einen
Nachfolger zu finden, wie eine Studie der Handwerkskammer ergeben hat. |
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Wirges: Was die
Situation zusätzlich erschwert, sind in Mainz die relativ hohen
Grundstückspreise mit 150 Euro pro Quadratmeter für das nackte
Bauland. Bei 800 bis 1000 Quadratmetern, die es bei einer
Neuansiedlung schon sein sollten, können Sie sich die finanzielle
Belastung ausrechnen. Zudem ist die Eigenkapitalquote im Handwerk
schon seit jeher eher niedrig. Dann kommen noch die hohen Grund- und
Gewerbesteuerbelastungen hinzu, die im übrigen nicht noch weiter
erhöht werden dürfen. Wer ansiedeln möchte, wird mit spitzem Bleistift
rechnen und sich jedenfalls genau überlegen, wo er das tut. |
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Das heißt: Mainz steht im
Wettbewerb mit den Standorten des Umlandes. Besteht die Gefahr, dass
der Handwerksstandort Mainz ausblutet? |
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Tartter: Zunächst
einmal muss man wissen, was die Stadt vom Handwerk wirtschaftlich hat.
2 000 Betriebe sind hier ansässig, das sind 50 Prozent aller
rheinhessischen Handwerker. Die Mainzer Betriebe allein erwirtschaften
10 Prozent des gesamten städtischen Gewerbesteueraufkommens, und das
Handwerk ist nach wie vor der Ausbildungsweltmeister. Vielen ist die
wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks nicht bewusst, weil oft nur
zugehört wird, wenn ein Betrieb mit 1 000 Beschäftigen Probleme hat,
aber nicht, wenn 100 Betriebe mit jeweils zehn Mitarbeitern in
Schwierigkeiten stecken. Richtig ist, dass der Speckgürtel um Mainz
immer dicker geworden ist, für mobile Betriebe machen fünf oder zehn
Kilometer keinen Unterschied, die finanziellen Rahmenbedingungen im
Umland sind für die Betriebe günstiger. |
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Wirges: Dennoch kann
man daraus sicherlich nicht den Schluss ziehen, dass der
Handwerksstandort Mainz gefährdet ist. Das Handwerk ist schon
traditionell mit Mainz eng verbunden und das wird so bleiben. |
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Hat die Dienstleistungs-,
Einkaufs- und Medienstadt Mainz ihr Handwerk vergessen? |
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Tartter: Uns
verwundert beispielsweise sehr, dass im Zusammenhang mit der
Ansiedlung von Möbel Martin immer nur von den negativen Auswirkungen
auf den Einzelhandel die Rede ist. Aber es ist auch das Handwerk
betroffen, Tischler, Raumausstatter, um nur zwei zu nennen. Im
Grundsatz sind wir für diese Ansiedlung, aber das Handwerk läuft immer
Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Gerade deshalb ist die Kammer so
wichtig, um mit einer Stimme die Interessen aller zu vertreten. Als
Kammer für ganz Rheinhessen müssen wir bei Ansiedlungsfragen auch
Neutralität wahren. Wir können nicht diejenigen sein, die auf Flächen
da oder dort hinwirken. Unsere Aufgabe besteht in der umfassenden
Information, Mainz kann da nicht gegenüber anderen Angeboten bevorzugt
werden. |
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Und wie blickt das Mainzer
Handwerk in die Zukunft? |
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Wirges: Es ist
schwer, an Aufträge in der Stadt heran zu kommen. Das hat natürlich
auch mit der Krise der Wohnungsbaugesellschaften zu tun. Die
Handwerker müssen sich auf einen größeren Aktionsradius einstellen,
gegebenenfalls auch bei größeren Objekten Ressourcen zusammenlegen.
Weiterbildung wird ein großes Thema bleiben, die HWK macht da ihren
über 7 000 Betrieben in Rheinhessen vorbildliche Angebote. Unsere
Stärke wird auch in Zukunft sein, dass wir Qualität bieten können. |
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Tartter: Deshalb
halten wir auch an der Qualifikation zum Meister fest, als
persönliches Qualitätszertifikat. Als HWK begleiten wir die Betriebe
mit unseren kostenlosen Betriebsberatungen und nutzen zahlreiche
Netzwerke. In Rheinhessen sind wir da gut aufgestellt. Ganz
entscheidend für die finanzielle Situation des Handwerks in der Stadt
wird sein, dass der städtische Haushalt saniert wird. Die
Schuldenbremse ist genau das richtige. Das Bau- und Ausbaugewerbe
hängt zu 30 bis 50 Prozent von öffentlichen Auftraggebern ab, wobei
diese Autragsquote in den vergangenen Jahren erheblich gesunken ist.
Eine Haushaltskonsolidierung führt auch das Handwerk wieder in
bessere, ruhigere Fahrwasser. |
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Das Interview führte
Erich Michael Lang (Allgemeine Zeitung 15. Juni 2010) |